Highlight zum Jahresauftakt – eine Initiative der Regionalgruppe Süd

"Menschliche Grundmotivationen aus neurobiologischer Sicht"
Prof. Dr. med. Joachim Bauer traf DBVC Coaches am 14. Januar 2021

Anke Ulmer

Bericht/Review

Dieser Beitrag ist ein Bericht/Review zu einer vergangenen Veranstaltung aus der Formatreihe "Mitglieder für Mitglieder".

"Menschliche Grundmotivationen aus neurobiologischer Sicht"Prof. Dr. med. Joachim Bauer traf DBVC Coaches am 14. Januar 2021 im Rahmen des Treffens der RG-Süd.

Rückblick auf einen inspirierenden Abend 

Was können wir als Coaches von den Neurowissenschaften lernen? Welche Erkenntnisse geben uns aktualisierte und wissenschaftlich begründete Orientierung in der Praxis? Bei diesen vom Prinzip her ganz weitgestellten Fragen gründet sich der Spannungsbogen des Suchens in einem hochspannenden dynamischen Forschungsgebiet, mit dem sich die Regionalgruppe Süd seit einiger Zeit inhaltlich immer wieder befasst.

Wenn die Möglichkeit gegeben ist, sich bei dieser Suche nach Differenzierung und tieferem Verständnis des eigenen Tuns als Coach an die Hand nehmen zu lassen von einem Menschen, einer Persönlichkeit, die bereit und in der Lage ist, ihr Wissen so anschaulich wie fokussiert in angemessener Dosage weiterzugeben, sind beste Voraussetzungen geschaffen für informelles Lernen, dem eigenen Interesse folgend, in angenehmer, leichter Weise.

Eine solche Begegnung ereignete sich im Januar im Rahmen einer zweistündigen Abendveranstaltung, die online stattfand. Der Regionalgruppe Süd war es gelungen, zum Jahresauftakt Herrn Prof. Dr. med. Joachim Bauer als Vortragenden einzuladen. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt, zudem Autor einer Reihe von Sachbüchern, in denen er u.a. die Grundlagen der Empathie, die Ursachen von menschlicher Aggression und die Struktur des Selbst thematisiert.

„Als Reiz-Reaktions-Maschine bin ich mit meinem Selbst nicht in Kontakt“  

- ein Statement, das Wirkung in zwei Richtungen entfaltet, nämlich sowohl im Blick auf unsere Arbeit mit Klienten und Klientensystemen, aber eben auch im Blick auf uns selbst. Unser Selbst, was ist es und wie entsteht es überhaupt? Hier setzte J. Bauer einen Schwerpunkt mit der Betrachtung neuronaler Netzwerke, in denen unsere Vorstellungen über das eigene Selbst gespeichert sind. Unsere Spiegelneurone, die bereits quasi von Geburt an hinreichend funktionstüchtig seien, spielen hier als Resonanzsystem die entscheidende Rolle. Allmählich entstehe eine innere Grundordnung zwischen zweit Polen, einem Ich und einem Du; so sei das Selbst des Menschen sozusagen ein Zwei-Perspektiven-Selbst. Die Fähigkeit des Menschen, die Welt immer auch durch die Augen der anderen zu sehen, sei einer der Gründe für seine kreativen Potenziale. Die Selbstnetzwerke haben ihren Hauptsitz in der unteren Etage des Stirnhirns, im Bereich über den Augenhöhlen, im ventromedialen Präfrontalen Cortex. Die biografischen Aspekte des Selbst-Seins sind gespeichert im posterioren cingulären Cortex, auch auf der Mittellinie, ein wenig dahinter liegend. Die Bedeutung einer dritten Komponente des Selbst-Systems, zu lokalisieren außen oberhalb der Ohren, liegt in der Fähigkeit zwischen Selbst und Nicht-Selbst zu unterscheiden. Diese Selbst￾Systeme des Stirnhirns sind mit allen relevanten nachgeordneten neuronalen Schaltstellen des Gehirns verbunden, die dann ihrerseits u.a. das Angst- und Stresssystem und das Immunsystem kontrollieren. Dies sei der Grund, warum psychische Befindlichkeiten, innere Einstellungen oder Erwartungen eines Menschen einen signifikanten Einfluss auf den körperlichen Zustand eines Menschen haben. An diesem Punkt wurde der Vortrag für Coaches also richtig spannend.

In einem zweiten Schwerpunkt erhellten Prof. Bauers Ausführungen daran anschließend das Verständnis einer gewissen Mechanik, wenn man so will, der Stressdynamik. Der Pegel von Cortisol als Stresshormon und anderer Aktivitätshormone folgten einer zirkadianen Rhythmik, mit einem Anstieg gegen 6 Uhr morgens und einem Abflauen gegen 13/14 Uhr. Gegenläufig dazu funktioniere das System der Immunbotenstoffe, welches abends anspringt und sich am Morgen in eine Ruhephase des default mode zurückziehe. Wenn nun in andauernden Stressphasen diese Rhythmik gestört ist, bleiben beide Systeme hochgestellt; in der Folge fahren die sog. Abschaltnetzwerke für das Gehirn nicht hoch – mit den Begleiterscheinungen, die auch uns selbst als negative Folgen hinreichend vertraut sein dürften; erst ohne Druck durch Aufgaben werden unsere Selbstnetzwerke aktiv.

Abgerundet wurde diese Tour d‘ Horizon mit einem Schlaglicht auf unsere Vorstellung und unser Verständnis der Rolle unserer genetischen Ausstattung. Erst langsam dringe eine Erkenntnis überall durch: die Vorstellung, Gene hätten bereits bei der Zeugung eines Kindes den Plan, was aus einem Menschen einmal wird, sei abwegig und widerspreche den Erkenntnissen der modernen Genetik und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, die unter dem Begriff der Neuroplastizität bekannt wurden. Denn was sich in der sozialen Umwelt ereigne, steuere die Aktivität unserer Gene, beeinflusse die Biologie unseres Körpers und sei an der Konstruktion unseres Gehirns beteiligt.

Als Fazit und Quintessenz aus allem Gehörtem und auch lebhaft Nachgefragtem sind als menschliche Grundmotivationen drei Punkte geblieben:

  • die Basis: bei sich sein und im Selbst zu Hause sein, das Selbst stärken
  • wirksam werden durch Ausstrahlung und dadurch, dass wir Resonanz erleben und auslösen
  • Krisen bestehen, gut für das Selbst sorgen (Selbstfürsorge), Transformation ermöglichen

Es waren nur zwei Stunden am Ende Arbeitstages…aber sie waren voller Ertrag. Ein „Aha!“ hier und ein „So ist das also…“ dort: Prof. Bauer hat mit seiner angenehmen Sprechweise und Vortragsart wohl viele, wenn nicht alle der über 70 Zuhörenden erreicht. Auf der Spur nach möglichen Besonderheiten und Belastungen ihrer Klient*innen war manches einzusammeln für die Wege durch das absehbar schwierige Jahr 2021. Die Resonanz auf dieses Highlight am Abend war lebendig positiv und bewegend. Mein persönlicher Dank gilt allen, deren Engagement diesen Abend hat möglich werden lassen.

Anke Ulmer

Karlsruhe, 15.03.2021

Ausgeführte Gedanken im obigen Text fußen auf persönlicher Mitschrift und folgenden Werken:

Bauer, J.: Wie wir werden, wer wir sind. Die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz. Blessing,  München (2019)  

Bauer, J.: Fühlen, was die Welt fühlt. Die Bedeutung der Empathie für das Überleben von Menschheit und Natur. Blessing, München (2020)  

Mehrere Beiträge auf youtube.com abrufbar

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