Gesellschaftliche Verantwortung im Berufsfeld Coaching

Die Mitglieder des DBVC Präsidiums greifen in ihrem fünften Positionspapier das Thema der gesellschaftliche Verantwortung auf.

DBVC Präsidium

Zum Hintergrund der Positionspapiere des DBVC Präsidiums:

Mit den Positionspapieren werden Überlegungen und Reflexionen der Präsidiumsmitglieder zu aktuellen Themen einer breiteren Fachdiskussion zugänglich gemacht. Ziel ist es, sowohl eine fachliche und gremienübergreifende Diskussion innerhalb des Verbandes als auch einen Diskurs in der interessierten Öffentlichkeit anzuregen. Vorstand und Präsidium laden ausdrücklich zur Diskussion dieses Papiers in den Regionalgruppen und anderen Gremien ein und freuen sich über Feedback an den Vorsitzenden des Präsidiums, Eberhard Hauser.

Gesellschaftliche Verantwortung im Berufsfeld Coaching 

November 2020

Als Coaches sind wir Handelnde in fast allen Feldern der gesellschaftlichen Öffentlichkeit: in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung, in Kultur und Wissenschaft, im Rechtswesen, im Sozial- und Gesundheitssystem, ja sogar in der Politik. Wir haben mit unserem Tun Einfluss auf Verantwortungsträger in Unternehmen und Organisationen. Damit tragen auch wir Verantwortung.

Ein zentrales Leitmotiv unseres beruflichen Handelns ist die Neutralität, es gehört zu unserer Berufsehre, die Ergebnisverantwortung eines Coachingprozesses beim Coachee zu verorten. Trotzdem setzen wir mit unserem Tun und Lassen Impulse, die für die Coacheeperson handlungsleitend werden können und sollen – denn das ist das Prinzip der Wirksamkeit.

Selbst die Gewissheit, dass das Denken, Fühlen und Handeln eines Coachees nicht steuerbar sind, ändert nichts daran, dass all unser Tun Auswirkungen hat. Das ist ja gerade das Paradoxon von Coaching: wir stoßen Prozesse an, deren Verlauf und Ergebnis wir nicht bestimmen können. Unsere Kunst besteht darin, die Impulse im Dienste der Erhöhung von Wahlmöglichkeiten so zu gestalten, dass die Coacheeperson aus eigener Kraft einen Nutzen sowohl für sich selbst als auch für die Organisation, deren Mitglied sie ist, generieren kann. Die Impulse jedoch, die Denk-und Fühl-Anstöße, die setzen wir. Und wir entscheiden uns dabei für Interventionen, indem wir etwas tun und dabei etwas anderes lassen. Und genau hier liegt unsere Verantwortung.

"Für das Unternehmen ist der Kontext die Gesellschaft. Business Coaching muss sich also an unternehmerischer Verantwortung orientieren." 

Nun gehört es zum professionellen Rüstzeug jedes Coaches, bei all seinen Interventionen nicht nur die Person des Coachees sondern auch und besonders deren Kontext im Blick zu haben. Im Business-Coaching ist dieser Kontext das Unternehmen. Für das Unternehmen hingegen ist der Kontext die Gesellschaft. Business Coaching muss sich also an unternehmerischer Verantwortung orientieren. Daraus folgt, dass Business Coaches ebenso wie Unternehmer dem Gedanken einer Corporate Social Responsibility verpflichtet sind.

Im Zuge des New-Work-Diskurses schauen Unternehmen zunehmend auf ihren gesellschaftlichen Kontext. „Purpose“ ist hierzu der aktuelle Leitbegriff: was ist im Sinne des Gemeinwohls der Daseinszweck des Unternehmens? Dieses sich entwickelnde Umdenken, welches längst vor dem Einschnitt der Corona-Krise begonnen hat, gewinnt durch die Erschütterungen der Krise möglicherweise eine noch größere Dringlichkeit. Das ökonomische Paradigma der riskanten und bedingungslosen Effizienz könnte zunehmend von etwas Neuem abgelöst werden: der Orientierung an einer an Nachhaltigkeit geknüpften Resilienz. Wenn also Unternehmen sich erkennbar einem solchen Perspektivwechsel stellen, sollten vielleicht auch wir überdenken, worin unsere Verantwortung im Sinne unserer Unterstützungsfunktion liegt. 

Soweit der aktuelle gesellschaftliche Trend. Wie sieht aber die betriebliche Wirklichkeit aus? Dort haben wir es ja nicht nur mit visionären Vordenkern zu tun, sondern viel häufiger mit Menschen, die von ganz realen Alltagssorgen geplagt werden: von Umsatzeinbußen, Personalproblemen, Budgetkürzungen, internen Restrukturierungen – nicht zu vergessen der alltägliche Hickhack im Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen.

Coaches, die sich von ihrer gesellschaftlichen Verantwortung leiten lassen wollen, müssen vor diesem Hintergrund Antworten auf schwierige Fragen finden:

  • Was tun, wenn die Coacheeperson den gesellschaftlichen Bezug ihrer Tätigkeit nicht erkennt, ausblendet oder aus guten Gründen nicht einbeziehen will? Wenn sie, um mit Bert Brecht zu sprechen, der Devise folgt: ‚Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral‘?
  • Was bedeutet Kundenorientierung im Lichte unserer gesellschaftlichen Verantwortung, wenn zum einen das Anliegen der Kunden und zum anderen unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen berücksichtigt werden müssen? November 2020 Seite 2 von 2 / 
  • Wie kann es gelingen, unsere gesellschaftliche Verantwortung ernst zu nehmen und gleichzeitig in tragfähigem Kontakt mit der Welt eines ganz andersdenkenden Coachees zu bleiben ? 
  • Wie kann im Coaching überhaupt Relevanz und Anschlussfähigkeit entstehen, wenn sich die Prioritäten von Coach und Coachee elementar voneinander unterscheiden? 

Ein Weg aus derartigen Dilemmata könnte es sein, Polarisierungen zwischen Profit und Gemeinwohlverantwortung aktiv zu hinterfragen. Damit würden wir uns als Rollenmodell einer Integrationsverantwortung zur Verfügung stellen und Angebote machen, die Brücken über vermeintliche Widersprüche schlagen.

Folgende Thesen könnten dafür dienlich sein: 

  • In unserer Arbeit als Coaches sind wir in letzter Instanz dem gesellschaftlichen Gemeinwohl verpflichtet. Alles fängt damit an, dass wir als professionell Handelnde unseren eigenen Blick in die gesellschaftliche Verantwortung hinein weiten. Die innere Haltung ist im Coaching bekanntlich eine wirkmächtige Intervention. 
  • Indem wir Wirtschaftlichkeit und Gemeinwohl als aufeinander bezogen und in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander begreifen, tragen wir einer Integrationsverantwortung Rechnung, die uns als unabhängige Beratende in besonderer Weise obliegt.
  • Das Bewusstsein unserer Wirksamkeit und gesellschaftlichen Rolle legt nahe, stetig unsere eigenen Werte zu überprüfen und ins Verhältnis zu Leitbildern und programmatischen Postulaten der uns beauftragenden Unternehmen zu setzen. Dies gilt als Hintergrundreflexion bereits bei den ersten Kontakten in Akquise und Auftragsklärung.
  • Wir können Fragen stellen, die den Aufmerksamkeitsfokus auf den „Purpose“ lenken. Wir können Themen wie Stakeholder Value, Gemeinsinn, Nachhaltigkeit, Enkeltauglichkeit, Generationen- und Gendergerechtigkeit etc. als Denkangebot in die Kommunikation einführen.
  • Der Resonanzraum der Gemeinwohlverantwortung ist auch im Coaching weit, offen und allgegenwärtig. Jede Intervention im Coachingkontakt kann darin kleinere oder größere Schwingungen erzeugen. 

Das Thema der gesellschaftlichen Verantwortung in unserem Berufsfeld stand im Fachdiskurs lange tendenziell unter Ideologieverdacht und wurde daher gern ausgeblendet. Es ist an der Zeit, zumindest den Reflexionsrahmen zu erweitern.

Verfasser des Positionspapiers "Gesellschaftliche Verantwortung im Berufsfeld Coaching":

Eberhard Hauser (Präsidiumsvorsitzender), Matthias Blenke, Klaus Eidenschink (bis Februar 2019), Mechtild Erpenbeck (ab Oktober 2019), Stefanie Heizmann, Dr. Wolfgang Looss , Dr. Jasmin Messerschmidt, Almut Probst, Dr. Bernd Schmid (Ehrenmitglied), Prof. Dr. Walter Schwertl

Veröffentlichung:

November 2020

Entwicklung der Positionspapiere des DBVC Präsidiums:

Im Mai 2017 veröffentlichte das DBVC Präsidium das erste Positionspapier. Alle bisher erschienen Positionspapiere des DBVC Präsidiums können Sie unter folgenden Links herunterladen:

  • Positionspapier 01: "Organisationsbezüge im Coaching" (Mai 2017)
  • Positionspapier 02: "New Work und Agilität"  (April 2018)
  • Positionspapier 03: "Akademisierung von Coaching-Weiterbildungen" (März 2019)
  • Positionspapier 04: "Beleuchten, was ausgeblendet wurde" (Februar 2020)
  • Positionspapier 05: "Gesellschaftliche Verantwortung im Berufsfeld Coaching" (November 2020)

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